Für sich und beieinander
Zu den Zeichnungen und Collagen von Natascha Pötz
Welt schaffen. Weltinnenräume, von Gestalten bewohnt, jede in einem eigenen Raum. Natascha Pötz entwirft Architekturen, in denen die Figuren für sich sind und doch nicht allein. Das Haus mit seinen Zimmern, Wohnungen, Etagen bietet Platz für die Zusammenschau von Figuren, Situationen und Dingen im Bild. Die Architektur gibt dafür den Rahmen, den die Künstlerin immer wieder in ihren Zeichnungen und Collagen nutzt. Das Haus bietet die Möglichkeit, den Bilderfindungen einen genauen Ort zu geben, ja, sie zu beheimaten. Es bietet Spielräume. Erzählerische Andeutungen werden gegeben, mal alltäglich, mal ins Phantastische spielend.
Das Haus ist im Werk der Künstlerin beides: Struktur und wiederkehrendes Motiv. Darauf bezieht sich der Ausstellungstitel »ein Haus im Sinn«, »ein« klein geschrieben, um deutlich zu machen, dass es um kein bestimmtes Haus geht. Die ungewöhnliche Formulierung ruft eine Merkformel auf, die wir fürs schriftliche Addieren gelernt haben: Wenn die 10er Grenze überschritten wird, steht »1 im Sinn« für den Übertrag, den man sich merken muss. »Haus im Sinn« hält fest, was für den nächsten Schritt gebraucht wird und sich mit ihm, wie in der Rechnung, verändert. »Haus im Sinn« ist ein Giebelhaus, genauer, die vertraute geometrische Reduktion: Rechteck mit Dreieck drauf. Man könnte sagen, die Idee vom Haus an sich. Doch ändert sich von Bild zu Bild alles mit diesem Ideogramm, je nach den inneren und äußeren Umgebungen, den Landschaften und Interieurs. Es nimmt immer neu Gestalt an, auch mit den Materialien, die zum Einsatz kommen.
Natascha Pötz kommt von der Zeichnung her. Ihr Motivkreis entwickelte sich in filigranen Zeichnungen. Der Griff zur Wachsmalkreide bringt einen Zug zur Reduktion und führt zu kontraststarken Bildern: Die Farbigkeit wird aus dem dunklen Grund gekratzt, der die helleren Farbschichten überlagert. Das Schwarz dominiert die Wachsmalzeichnungen und bringt zugleich die darunter liegende, zarte Farbigkeit zum Leuchten. Mit den Collagen radikalisiert sich die Vereinfachung. Wie beim Einsatz der Wachsmalstifte gibt es neue Pro-bleme und neue Lösungen für die Beziehungen von Figur und Raum, Raum und Fläche.
Natascha Pötz spielt in ihren Architekturen mit der Perspektive. Räumlichkeit wird angedeutet, ohne sie zentralperspektivisch zu fixieren. Die Räume öffnen sich zur Bildfläche hin für den Betrachter. Im Querschnitt verwandeln sich die Interieurs für ihn in Raumbühnen mit Figuren und angedeuteten Handlungen. Ein bisschen ist es so wie in George Perecs »Das Leben – eine Gebrauchsanweisung«. Ein Mietshaus gibt dort den Rahmen für ein Mosaik von Geschichten seiner Bewohner, aus denen sich der Roman entwickelt. Pötz nutzt die Architektur auf ähnliche Weise als Rahmung für Mikroereignisse, die mal banal, mal rätselhaft sind.
Haltung und Motive bleiben, während sie die Materialien für die Artikulation der Bildräume immer wieder neu konfiguriert. Wachsmalstifte bieten andere Widerstände als der kontrollierte, feine Strich des spitzen Stifts, Papier und Schere andere Freiheiten der Flächengestaltung neben der Zeichnung. Jeder Wechsel der Ausdrucksmittel ist ein Abenteuer mit neuen Fährnissen und reicheren Möglichkeiten. Pötz geht mit jedem Material an eine Grenze. Die liegt nicht außen, sondern innen. Immer, wenn sie einen Punkt der Binnendifferenzierung erreicht, in der die innere Ordnung der Bilder zu stabil wird, wenn sie zu viel Verfügungsmacht über ihre Bildwelt gewinnt, öffnet sie eine Tür: Das Feine braucht das Grobe, das Kontrollierte das Zufällige. Nur so atmen die Arbeiten und lassen einen Platz für uns im Schauen, nur so öffnet sich immer wieder etwas im kreativen Prozess.
Wichtiger Teil dieses Prozesses ist das Schichten: Schraffuren übereinanderlegen, oder beim Wachsmalen abtragen, Papiere und Pappen in den Collagen einander überlappen lassen. Die Schichtung erlaubt, dass die Einzelheit einzeln bleibt, einen Raum sichtbar oder unsichtbar für sich hat und trotzdem Teil eines Ganzen ist. Vom Material wie von der Bildarchitektur ist das Prinzip der Schichtung deshalb im Werk der Künstlerin zentral.
In der Titel gebenden Serie »ein Haus im Sinn« übersteigen die collagierten Bildräume mitunter den Rand. Die Bildordnung wird geöffnet und das Moment der Schichtung wird greifbar. Zu sehen sind Schichtungen aus Tonpapier, Pappe oder auch liniertem Papier, die sich überschneiden oder überlappen. Nicht immer sind sie vollständig fixiert. Dadurch bekommen die Bilder Relief. Gezeichnete Elemente sind eingefügt in hell/dunkel kontrastierende, collagierte Flächen. Schrägflächen deuten Raumperspektiven an, in denen sich die Grenze zwischen Innen und Außen löst. Die collagierten, einfachen Figuren sitzen, gehen, liegen oder fallen. Fast immer taucht die Palme auf, gezeichnet oder geschnitten, die mit ihrer gezackten Silhouette Bewegung in die Geometrie der Flächen bringt. Für Natascha Pötz ist sie beides, Zeichen der Häuslichkeit und exotischer Ferne. Innen und Außen verbinden sich noch freier, ohne dass die Künstlerin ihren Motivkreis von Haus, Raum und Figur verlässt. Das poetisch Erzählerische bestimmt auch weiterhin ihr Werk. Ein wenig ist es so, als verbänden sich die poetischen Kleinwelten von Klee mit Kontrast und Kontur von Matisses Scherenschnitten zu sehr eigenen Formulierungen für Natascha Pötz‘ Thema: Wie das je Eigene für sich sein kann und gleichzeitig Teil eines größeren Ganzen, deutlich umrissen und doch rätselhaft.
Ines Lindner
'Der Raum hat mich immer schweigsam gemacht.' Jules Vallès
'Wie können wir uns einer Landschaft nähern, die nicht mehr jene ist, welche wir sehen, sondern im Gegenteil jene, in der wir gesehen werden?' Gilles Deleuze
Wenn die Unermesslichkeit Gaston Bachelard zufolge eine philosophische Kategorie der Träumerei ist, ist die Kartografie, das Vermessen und Verzeichnen oder Aufklappen des Raumes, wie es uns in den Zeichnungen von Natascha Pötz begegnet, dann der Versuch dieser Unermesslichkeit zu begegnen? Es mag sein, dass es irreführend ist, den Begriff der Träumerei überhaupt aufkommen zu lassen in Bezug auf Zeichnungen, die weniger in Träumen als in Erinnerungen an konkrete Orte wurzeln. »Aber handelt es sich wirklich um eine Erinnerung? Ist die Einbildung nicht schon bei der ersten Betrachtung tätig?«, fragt Bachelard und stellt fest: »Die Träumerei ist ein Zustand, der vom ersten Augenblick an vollständig hergestellt ist. Man sieht kaum, wo sie anfängt, und doch beginnt sie immer auf die gleiche Weise. Sie flieht das nahe Objekt, und sogleich ist sie weit weg, anderswo, in dem Raum des Anderswo.« – Weit weg, in dem Raum des Anderswo, der vielleicht am ehesten der Raum des Reisenden ist, sein Fluchtpunkt. Natascha Pötz’ Bildräume sind so etwas wie Verzeichnisse von Intensitäten. Verortungen. Traumartig in ihrer verzerrenden Topografie, in ihren Maßstabssprüngen und scheinbaren Ungereimtheiten, dem zugleich hier wie dort Sein, rekonstruiert sie in der Zeichnung, wie in einer Auf- oder Nachzeichnung, Erlebnisse, in dem sie sie in räumliche Anordnungen übersetzt. Dabei ist zweifellos nicht nur die Aufzeichnung eine (Re-)Konstruktion, sondern auch die Erinnerung. Es gibt in diesen Bildern keine Auflösung ins Sprachliche und die Geschichten, die sie auf so seltsam schweigsame Art erzählen, bleiben rätselhaft. Dennoch führen sie an wohl vertraute Orte. Orte, die ganz offensichtlich in der sichtbaren Welt und doch zugleich ganz wo anders liegen. Der Vorgang des Zeichnens, als Schraffur, als Strich, als Linie, als konzentrierte Anwesenheit, bleibt immer präsent und kann im wörtlichen Sinne als Verdichtung verstanden werden. Eine Verdichtung im Bild, die wiederum eher auf das Sehen, als auf die Träumerei verweist.
Nina Jäger
Für mein zeichnerisches Denken spielt die Konstruktion von Raum eine zentrale Rolle. Perspektivisch baue ich mittels Linie und Fläche zweidimensionale Raumfolgen und richte diese ein. Ähnlich einem Dominospiel knüpfe ich Anschlüsse und fi nde so zu entlegenen Winkeln in meinen Bildern. Für die Ausstellung „ein Haus im Sinn“ greife ich in meinen Collagen die Räumlichkeit meiner Zeichnungen und den Kontrast der Wachsstiftbilder auf und entwerfe aus verschiedenen papierenen Materialien häusliche Spielstätten. Es entstehen räumliche Situationen, in denen Personen um ihr Haus herum ganz privat mit sich sind. Von außen schaut man in diese Szenen hinein und begegnet einem Augenblick, beobachtet Leben. Ich möchte gerne die Atmosphäre der Momenthaftigkeit einer Fotografie treffen. Mein Anliegen ist es, Illusion zu vermeiden – die Bilder sollen ihre Konstruktion sehen lassen -, Geschichten zu initiieren und nicht zu erzählen, einen Augenblick darin zu finden und der Leere dieselbe Bedeutung zu geben wie der korrespondierenden Darstellung. All dies nicht in wilder Manier sondern spröde geordnet. Gemeinsam formen Lücke und Fülle den häuslichen Raum, in dem meist auch etwas Orient steckt, der der Situation eine fremde und schmucke Note schenkt. „Ein Haus im Sinn“ knüpft an das Gebäude an und schließt das Zuhause mit ein.
Natascha Pötz